Herr Kolpert

Ein Stück von David Gieselmann

Es spielen:

Claudia Stenten (Sarah Dreher), Markus Mogwitz (Ralf Droht, ihr Freund),

Daniela Christen (Edith Mole), Sven Meyer (Bastian Mole, ihr Mann),

Ben Berger (Pizzamann) und Reinhod Doll (Herr Kolpert)

Regie: Frank Wiemann

Die Premiere war am Samstag, dem 27. April 2019, im Kulturbahnhof Lemgo.

Lippische Landeszeitung (Auszüge)                             Dienstag, 30. April 2019

Auf der Bühne fließt viel Blut

Mit der absurden, rabenschwarzen Komödie „Herr Kolpert“ hat sich die Theatergruppe STATTGESPRÄCH einiges vorgenommen. Das Publikum ist begeistert. Es spendet den Schauspielern nach der Erstaufführung viel Applaus.

Von THOMAS KRÜGLER

STATTGESPRÄCH nicht zimperlich

Blutig hat die Freie Theatergruppe STATTGESPRÄCH.. ihre 22. Spielzeit beendet.

Die Premiere der absurden Komödie „Herr Kolpert“ unter der Regie von Frank Wiemann war ein großer Erfolg! Im September wird das Stück wieder aufgenommen.

Das ausverkaufte Werk von David Gieselman war ein Nervenkitzel für Schauspieler wie Zuschauer und kam beim Publikum bestens an.

Packende Dynamik, punktgenaues Timing und abrupte Stimmungswechsel hielten 90 Minuten den Spannungsbogen… Das Ensemble meisterte die Herausforderungen dieser Hardcore- Humoreske originell und bereicherte die Dialoge mit witzigem Lokalkolorit..

Die Zuschauer erlebtgen Ungewohntes: Da wurde gemordet, gefoltert, gefressen und gekotzt. Es fließt viel Blut und das Stück ist erst ab 16 Jahren freigegeben. Die skurrile Raumgestaltung des detaillierten Bühnenbildes stimmt auf Absurdes ein. Gewaltvideos und Pornos hängen in den Wandregalen. Über einer antiken Holztruhe hängt ein Bild der Freiheitsstatue. Zügleloses Ausleben pervertierter Freiheit auf Kosten anderer ist ein Thema des Stücks…

Über der Sitzecke gewährt ein Fenster mit Sichtschutzglas schattenhafte Einblicke ins Bad. Die Inszenierung spielt mit optischen Reizen… Sarah und Ralf kommen mit blutbeschmierten Handschuhen aus dem Bad und liebkosen sich. Haben sie etwa gerade gemordet? Die Frage bleibt offen bis zum Schluss.

Claudia Stenten und Markus Mogwitz überzeugen in der Rolle der asozialen Gastgeber und geben ein perfekt eingespieltes Paar, das Situationskomik beherrscht. Als gelangweilte Snobs wollen sie die Dramatik konsumierter Gewaltfilme nachleben und vermischen Fiktion und Realität. Um ihr gesteigertes Selbstwertgefühl zu befriedigen, werden sie zu Wohnzimmerterroristen. Selbst als gefesseltes Opfer lässt Claudia Stenten ihre Augen und Mimik vital sprechen.

Daniela Christen steigert sich als Edith im roten Kleid kontinuierlich von der braven Ehetussi zur blutrünstigen Gattenmörderin, die Mord als Akt der Emanzipation im Sinne Loriots versteht. „Ich wollte meinen Mord. Da hat man was Eignes.“

Sven Meyer verkörpert den aggressiven Ehekrüppel Bastian, der seine Frau schlägt und schon bei bei der Frage, was er trinken möchte ausrastet…

Ben Berger gibt dem unterbelichteten Pizzaboten eine eigene Note und sächselt vor sich hin: „Wer hat Herr Kölpert getötet?“

Herr Kolpert ist permanent anwesend und bestimmt die Handlung tot oder lebendig. Als kassenbebrillter Verwaltungslangweiler bietet er das ideale Angriffsziel. Opfer- und Täterrollen verschwimmen immer mehr, jeder wird schuldig und hat Dreck am Stecken.

Am Ende weinen alle, lassen alle Masken fallen und beginnen sich auszuziehen: „Wenn wir alle nackt sind, sind wir sauber.“ Die Nacktheit spiegelt die Sehnsucht nach der Unschuld, die ein neugeborenes Baby hat oder Adam und Eva im Paradies vor dem Sündenfall hatten.

Inspiriert von Alfred Hitchcocks „Coctail für eine Leiche“ hat David Gieselmann mit „Herr Kolpert“ eine schwarze Komödie geschaffen, die der verrohenden Welt den Spiegel vorhält. Der Rückfall in infantilen Egozentrismus kennt keine Grenzen, geht über Leichen und lässt alle Masken fallen. Am Ende stehen alle nackt da…

 Lippe Aktuell                           Samstag, 11. Mai 2019

Aus alten Kisten klopft es doch nicht… oder doch?

STATTGESPRÄCH.. brilliert mit absurdem Theaterstück „Herr Kolpert“ von David Gieselmann

von NATASCHA RETZLAFF

Lemgo (nr). Ziemlich schräg, oft brüllend komisch und bisweilen, gelinde gesagt, ein wenig ekelig – die Bühne darf fast alles und eigentlich ist es ja ein kluger Schachzug vom Ensemble, die Premiere des brillanten Theaterstückes „Herr Kolpert“ von David Gieselmann an das Ende der 22. STATTGESPRÄCH-Spielzeit zu legen… Im besten Fall macht es neugierig, was nach der Sommerpause alles so passiert und die freie Theatergruppe „STATTGESPRÄCH“ bleibt selbiges; also ein Stadtgespräch.

Das Premieren-Publikum war jedenfalls begeistert und zwar gleichermaßen von der Inszenierung als auch von der schauspielerischen Leistung.

 

Dass STATTGESPRÄCH nicht nur mit Komödien glänzt, weiß man inzwischen. Unbeschwert oder kritisch und nachdenklich; mit leisen oder lauten Tönen – oft wagt das Ensemble den Spagat zwischen Publikumsgunst, aber auch dessen Kritik. Provokant eben.

Apropos provokant… das ist das Theaterstück „Herr Kolpert“ allemal. Die tief morbide, rabenschwarze Komödie über die seelische Abgründe, die sich auftun, wenn eine emotionale Starre immer extremeres Handeln fordert, um zu spüren, dass man überhaupt noch fühlen kann, trifft jedenfalls den Zeitgeist.

 

„Hereinspaziert. Hier ist Platz. Hier ist sonst nur noch eine Leiche.“ Begrüßungsrituale kennt man sonst anders. Ralf (Markus Mogwitz) und seine Lebensgefährtin Sarah (Claudia Stenten) haben deren Arbeitskollegin Edith (Daniela Christen) und ihren Ehemann Bastian (Sven Meyer) zum Essen eingeladen. Bereits das Entree fällt ungeahnt komisch und absurd aus. Das Kochen entfällt gleich ganz. Stattdessen Pizza, die die Gastgeber mit jeder Menge Lügen und bösen Witzen garnieren: Liegt in der alten Truhe tatsächlich ein gewisser Herr Kolpert – ermordet allein aus Langeweile und Überdruss am Leben? Vielleicht ist es auch nur ein perverser Versuch, die Gäste zu verunsichern…

Humor auf Kosten der Gäste, cholerische Anfälle, aufkeimende Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Gastgeber, eine ad absurdum geführte Pizza-Bestellung nebst strapazierfähigem Pizzaboten (Ben Berger) und schließlich ein merkwürdiges Klopfen aus der Truhe – im Laufe des Abends spitzt sich die Situation so zu, bis sie komplett außer Kontrolle gerät…

Das Ensemble läuft zur Höchstform auf, spielt sich gegenseitig locker an die Wand und versteht es, all die Stimmungswechsel und überraschenden Wendungen mit viel Tempo und Perfektion darzustellen.

Der Abend gerät zu einer Farce zwischen Chaostheorie-Small-Talk, Pizzaweisheiten und eindrucksvollem Gemetzel. Wie schön, dass Charaktere – und somit selbstredend die Darsteller – so ungeheuer wandelbar sind…

Die Überraschungsmomente treffen gezielt und dabei geht es sich nicht einmal nur um die verschiedenen Körperflüssigkeiten, die das Publikum zwischen Ekel und Amüsement schwanken lassen. Gelacht werden darf aller Widerwärtigkeiten zum Trotz.

Frank Wiemann, diesmal in der Regie, zieht genial gut an allen Fäden der Dramaturgie: überspitzt, grenzüberschreitend, schonungslos, sarkastisch und bitterböse. Chapeau!

 

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