The Blue Room

Stück "The Blue Room"
(Dialoge der Geschlechter über Liebe und Sex)
Theaterstück von David Hare frei nach Arthur Schnitzler "Der Reigen"
Premiere war am 24. Januar 2004 im Lemgoer Bahnhof
Regie: Frank Wiemann

Lippische Landeszeitung am 26. Januar 2004


Jeder konsumiert jeden - "The Blue Room"- Nackte Tatsachen
Das ist neu: Theater ohne Hosen, STATTGESPRÄCH.. hat mit der Premiere von "The Blue Room" am Samstagabend vor ausverkauftem Haus für spektakuläre Szenen gesorgt. Fünf Frauen und Männer treiben es auf der Bühne munter durcheinander..

Die ausgetretenen Pfade der Theaterlandschaft zu durchwandern war noch nie die Sache der Theatergruppe STATTGESPRÄCH.. Eher lockte die "Pirsch durchs Unterholz des menschlichen Miteinanders", um das Kuriose, Groteske, den alltäglichen Wahnsinn vorzuführen. So auch beim neuen Stück "The Blue Room" von David Hare, welches am vergangenen Samstag im ausverkauften Bahnhofsaal eine furiose Premiere feierte.

Die Bevölkerung in Lemgo war bereits im Vorfeld gewarnt: Die Aufführung von Schnitzlers "Der Reigen" Vorlage für "The Blue Room", war 1921 aufgrund der Sittenverwerflichkeit polizeilich gestoppt worden. Aber was reizt schließlich mehr, als zuzuschauen, wie andere an moralischen Festungen rütteln? Zehn Szenen mit wechselnden Paaren. Alle getrieben von der Sehnsucht nach unvergänglicher Liebe. Doch die Suche danach zeigt, dass sie mit einem sexuellen
Abenteuer verwechselt wird... Köstlich die doppeldeutigen Dialoge... Alles eine große Show, jeder konsumiert jeden, und was bleibt ist Leere und Ensamkeit. Irgendwie eine ernste, aktuelle Botschaft. Irgendwie genial rübergebracht von einer engagiert aufspielenden Truppe...
Knisternde heiße Verführung, turbulente Bettszenen in sparsamer Kleidung, ein Thema für sich..

Fazit: Aufgrund der Publikumsreaktion scheint "The Blue Room" offensichtlich noch ein etwas erregend-tabuisierendes Thema zu sein.
Ein dickes Lob gebührt der Gesamtleistung des Theaterensembles, das hiermit vielleicht ihr bestes, weil vielschichtigeres Stück lanciert hat. Lemgo hat ein neues Stattgespräch.

Lippe aktuell am 28 Januar 2004

STATTGESPRÄCH.. ist Stadtgespräch
Theatergruppe STATTGESPRÄCH.. beindruckt mit neuer Inszenierung
Das neuste Stück der Lemgoer Freien Theatergruppe STATTGESPRÄCH.. ist vergleichsweise harte Kost, inhaltlich und vom ganzen literaisch-darstellerischen Anspruch her entfernt von den so beliebten locker-leichten Komödien, die man von der Truppe von Frank Wiemann so sehr schätzt und gewohnt ist. Die Tragikomödie "The Blue Room" - in der natürlich auch viel geschmunzelt werden kann, geht zurück auf eine Original-Vorlage des großen Wiener Erzählers Arthur Schnitzler und den hier gemeinten "Reigen"..
Harte Kost, wie gesagt: Es geht um Liebe und Sex, Beziehung und Einsamkeit- und auf die Bühne gebracht werden nicht lediglich "Andeutungen" weiblich-männlicher Annäherung, sondern sozusagen das ganze Bettgeschehen in all seiner Entblößtheit und rhythmischen Intensität: vom ersten Kuß bis zur Zigarette danach..
Nicht alltägliche Anforderungen sowohl an die Akteure wie auch ans Publikum.

Ergebnis: Die Leute im ausverkauften Bahnhofsaal am vergangenen Wochenende waren begeistert, die Darsteller froh und sicher auch erleichtert, daß das Wagnis vollauf gelungen war!

Ein "Reigen der Sexualität" entsteht, der eigentlich mehr ein "Totentanz" ist: Die Dirne (spiellustig Dominika Zedler) mit dem Taxifahrer (cool Banjamin Kulemann), der Taxifahrer mit dem Au-Pair-Mädchen (entzückend Kartin Brakemeier), das Au-Pair-Mädchen mit dem Studenten (temperamentvoll Frank Wiemann), der Student mit der verheirateten Dame (authentisch Ulrike Lenschen), die verheiratete Dame mit Ihrem Ehemann (skurril Ralf Taut), der Ehemann mit dem Model (überzeugend Heike Brakhage), das Model mit dem Dichter (glatt Lars Bücherl), der Dichter mit der Schauspielerin (aufregend Daniela Lübbertsmeier), die Schauspielerin mit dem Aristrokaten (vollendet Markus Mogwitz) und schließlich der Aristrokrat mit der Dirne- womit sich der Kreis, die zwanghafte Abfolge geschlossen hat. Die Ziele der handlungsbestimmen Akteure sind dabei stets die gleichen: Befriedigung sexueller Bedürfnisse; anders sind jeweils lediglich die Täuschungsmanöver, die Verlogenheiten, die Überrumpelungstechniken, die Einschüchterungsattacken, sowie die Versuche, den Partner gefügig zu machen.

Man gewinnt den Eindruck: Stets muß der Liebe geheuchelt werden, muß von Liebe und Sehnsucht geschwärmt werden, wenn nicht mehr als der sexuelle Erfolg, die augenblickliche Befriedigung gemeint sind.

Als Aussage vom "Reigen"/"Blue Room" könnte bilanziert werden, ziemlich pessimistisch: "Dauerhaftes Glück existiert nicht!" Das Schnitzlersche Werk sorgte damals für etliche Skandale, sogar Gerichtsprozesse. Diese Gefahr besteht weder für die Neuinszenierung von David Hare noch für die Lemgoer Bühnenaufführung von STATTGESPRÄCH.. (Produktion und Regie Frank Wiemann) - dennoch wird das Stück einigen Gesprächsstoff bieten..

Den STATTGESPRÄCH- Akteuren sei in diesem Falle besonderer Mut sowie - aber das ist ja nichts Neues- wiedermal beeindruckende Schauspielkunst bescheinigt!


Lippische Wochenschau am 29. Januar 2004

Lemgoer Ensemble STATTGESPRÄCH.. feierte Premiere mit "The Blue Room"
-Nackte Tatsachen im Bahnhof -Sehnsucht nach Erfüllung und Glück-
Gefühlvolles Schauspiel im Lemgoer Bahnhof. Scheinheilige Sexualmoral, Liebe als Machtkampf, Selbstbestätigungs- oder Domestizierungsversuch, als Mittel zur sozialen Absicherung oder Möglichkeit zum Aufstieg in der Hierachie, Liebe als Ware. David Hares Theaterstück "The Blue Room" ist eine Adaption von Arthur Schnitzlers über 60 jahre gesperrten, im Jahr 1921 uraufgeführten Klassikers "Der Reigen". Bei dem Theaterstück mit Dialogen der Geschlechter über Liebe und Sexualität handelt es sich um die 23. Eigenproduktion des Lemgoer Ensembles STATTGESPRÄCH.. seit ihrer Gründung 1996.

Premiere feierten die Amateurschauspieler am Sonnabend im Lemgoer Bahnhof- und ernteten nach der Schlußszene wie gewohnt tosende Beifallsstürme.

Die Grundtöne von "The Blue Room" sind auch in Schnitzlers "Reigen" zu finden - als Ausdruck der Zeitstimmung der Wiener Gesellschaft des Fin de Siècle. Die bürgerliche Gesellschaft hat sich in 100 Jahren aber verändert und so ist der Blick von David Hare zwangsläufig ein anderer als der von Schnitzler. Hare übernimmt zwar die dramatische Grundstruktur von Schnitzlers Stück, gibt seiner Bearbeitung aber einen leichteren, optimistischeren Grundton und versucht, die Figuren stärker zu individualisieren. Für ihn ist Liebe und Romantik ein zum Menschen gehörender positiver Antrieb. Beibehalten hat er den Blick auf die Motive der handelnden Personen. Sie sind heute wie vor einem Jahhundert gültig. Es wird gelogen, betrogen und falsch gespielt, mag dahinter auch eine echte Sehnsucht nach Erfüllung und Glück stehen...


Theater pur (Theatermagazin für NRW) Nr. 02.2005

Skandal? - Ach was: Vergnügen!


... ein Vierteljahrhundert lang hat Schnitzler sein Stück zurückgehalten. Als es dann in den frivolen 20er Jahren auf die Bühne kam (die Gedankenstriche hinter verschlossenem Vorhang).. oh Gott, was war das für ein Skandal! In Berlin wurde anstelle des Stückes der Reigen-Prozess gegeben, in Wien verwandelten katholische Fundis den Theatersaal in Kleinholz. Entnervt schloss der Autor sein Werk in den Giftschrank. Erst 1982 gab der Sohn das Stück frei... Höchste Zeit für ein Remake durch einen jungen englischen Skandal-Autor. Es war dann David Hare, ein eher etablierter Theatermensch, der 1998 den Reigen ins heutige London versetzte, die Situationen aktualisierte, die Charaktere pointierte und die Sprache vulgarisierte. Vom 10fachen Akt wird nur noch insofern abstrahiert, als eine Leuchtschrift über die Bühne denselben öffentlich macht (das reicht von 0 Sekunden beim spät-pubertierenden Studenten bis 2 ½ Stunden beim Drogen-gedopten Schicki-Micki-Paar). Und wieder war die Aufregung groß! Diesmal keine Empörung über den Skandal, sondern prickelnde Erregung über eine nackte Nicole Kidman (die Schwarzmarkt-Kartenpreise sollen auf 500 Pfund gestiegen sein).


Nach Berlin, Wien, London - jetzt also Lemgo!


Die ambitionierte Gruppe STATTGESPRÄCH unter ihrem Spiritus Rector Frank Wiemann hat das Lotterstück auf die Bretter der ostwestfälischen Provinzbühne gebracht.

Gewagt! - Und Gewonnen!


Schon das äußere Inszenierungs- Konzept ist überzeugend: die jeweils fünf Protagonist / innen einer übermächtigen Alltags-Sexualität sitzen auf einem sich ewig drehenden Karussell, das immer nur kurz für einen Partner-Wechsel anhält... in Lemgo rotiert das Karussell in einem isolierten Raum und wird so gleichzeitig zum Symbol für die Verlassenheit des Großstadtmenschen...


Die insgesamt 10 Darsteller-innen bringen die 10 Episoden mindestens ebenso überzeugend über die Rampe, wie die Profis und zeigen dazu ein breites Spektrum an Charakteren: Dominika Zedler macht als Hure professionell an; Benjamin Kulemann ist cooler Taxifahrer; Katrin Brakemeier ein Au-Pair-Mädchen zum Verlieben; Frank Wiemann als Student: ein Erlebnis, wie immer; Ulrike Lenschen: die Frau mit Erfahrung; Ralf Taut: amüsant karikierter Politiker; Heike Brakhage: ein Model mit Punk-Allüren; Lars Bücherl: arroganter Dramaturg; Daniela Lübbertsmeier als Schauspielerin: ein Männertraum; Markus Mogwitz: aristrokratischer Ar...; Dominika Zedler:.. ach so, die hatten wir schon.


Zurück zum Skandal: vor der Premiere hatte Frank Wiemann mächtigen Bammel, ob Lemgo dieses Stück wohl verkrafte, und hat vorsichtshalber nur einige wenige Aufführungen angesetzt. Aber dann: Die öffentliche Presse war des Lobes voll; das Lemgoer Publikum begeistert -trotz (trotz?) spärlicher Kostüme. Selbst der notorisch selbstbewusste Wiemann war von so viel Zuspruch überrascht. Und deshalb wird "THE BLUE ROOM" im Februar weitere acht Mal gezeigt.


Achtung: Es sind zwar keine Londoner Schwarzmarkt-Preise zu erwarten, aber erfahrungsgemäß sind auch in Lemgo die STATTGESPRÄCH- Karten ganz schnell weg!

 

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