Die Suppe wird kalt, das Gedächtnis läßt nach. - Presse

Ein Schauspiel von Bengt Ahlfors und Frej Lindquist

Es spielen: Claudia Stenten, Katrin Brakemeier, Frank Wiemann, Markus Mogwitz und Ben Berger

Regie: Katrin Brakemeier

Deutschsprachige Erstaufführung war am 24.Oktober 2015 im Kulturbahnhof Lemgo.


 

Lippische Landeszeitung / Lippisches Kultur-Journal am 27. Oktober 2015

Die Liebe blüht, die Liebe bröckelt

Premiere: Theatergruppe Stattgespräch überzeugt mit dem raffinierten Stück „Die Suppe wird kalt, das Gedächtnis lässt nach“ im Bahnhof Lemgo. Die Inszenierung ist stimmig, das Darsteller-Ensemble agiert stark.

 

Lemgo (von Barbara Luetgebrune). Eine Frau, zwei Männer, viele Flashbacks und literweise Bouillabaisse: Das sind die Zutaten für einen spannenden Theaterabend mit Tiefgang im Lemgoer Kulturbahnhof. Das Premierenpublikum feierte die deutsche Erstaufführung, die Stattgespräch auf die Bühne brachte.

„Die Suppe wird kalt, das Gedächtnis lässt nach“: Der Titel klingt wie eine Zeile aus einer skurril-lebensklugen Singer-Songwriter-Ballade. Eine Stimmung, die auch die Stattgespräch-Inszenierung des Stücks von Bengt Ahlfohrs und Frej Lindqvist durchzieht.

Das Stück ist raffiniert gebaut: Eine Frau und die beiden Männer ihres (bisherigen) Lebens erinnern sich daran, wie ihre Liebesgeschichten jeweils begannen – und wie sie zu Ende gingen. In Rückblenden spielen die Protagonisten Schlüsselszenen nach. Der jeweils nicht „aktuelle“ Mann moderiert und kommentiert die Szenen, mal ist er Schiedsrichter, mal Voyeur, mal vermittelt er, mal sät oder befeuert er den Zwist zwischen den handelnden Partnern.

Keine der zwei Liebesgeschichten, die sich mit den Jahren verändern, stellt an sich eine Besonderheit dar. Die Autoren beschreiben erblühende und bröckelnde Beziehungen, wie sie zigfach vorkommen. Die Geschichten sind ganz nahe am Leben. Und generieren eben daraus ihr heiteres Potenzial – Beispiel: die Diskrepanzen zwischen den persönlich eingefärbten Erinnerungen der Protagonisten.

Kennt jeder – und kann allein darum drüber lachen. So wirken diese Szenen deutlich stärker und stimmiger als die (paar) eingestreuten Gags mit Lacher-Garantie.

Auf den menschlichen Faktor, auf Authentizität und Nähe zum Leben setzt konsequent auch Katrin Brakemeier in ihrer Inszenierung. Zwar ist diese in einer Manege angesiedelt (Ausstattung: Markus Mogwitz, Frank Wiemann), aber darin präsentiert die Regisseurin keine Sensationen, sondern Menschen. Und achtet sorgfältig darauf, dass diese nicht zu Abziehbildern werden – eine Gefahr, die beim Featuren von „Menschen wie du und ich“ stets gegeben ist –, sondern Profil entfalten.

Menschen wie Alice, die sich zwischen den Ansprüchen ihrer Männer, ihrer Mutterrolle und den eigenen Träumen und Wünschen aufreibt. Bis sie beschließt, ihren eigenen Weg zu gehen. Claudia Stenten empfiehlt sich durch eine ernsthafte, temperamentvolle und durch und durch glaubwürdige Darstellung der Alice. Diese erste Hauptrolle, die sie damit auf der Stattgespräch-Bühne abliefert, macht Lust auf mehr. Frank Wiemann verkörpert höchst anschaulich den Wandel des Piloten Edgar von seiner anfänglichen „Hoppla, jetzt komm’ ich“-Attitüde zum verunsicherten, aus der (Flug-) Bahn geworfenen Ex-Mann.

Seinen Nachfolger Kurt legt Markus Mogwitz als nur scheinbar frauenverstehenden Konfliktforscher an, der – und das unterstreicht Mogwitz’ differenziertes Spiel hervorragend – bloß mit anderem Garn die gleiche Ego-Masche strickt wie Edgar. Ben Berger komplettiert eine starke Ensembleleistung, die das Premierenpublikum feierte – mit viel Beifall, zunächst.

Und hinterher nicht etwa bei Bouillabaisse, sondern bei Butterbroten für alle.

 

Lippische-aktuell am 28. Oktober 2015

Die Sache mit der Liebe

Bezaubernde deutsche Erstaufführung

 

Lemgo (Natascha Retzlaff). Liebe ohne Kom­pli­ka­tio­nen gibt es ein­fach nicht, denn dar­aus sind Ge­schich­ten ge­macht. Eine da­von be­trach­tet die Liebe dreier Men­schen mit all den un­ge­ahn­ten Fol­gen. Der Ti­tel liest sich et­was holp­rig: "­Die Suppe wird kalt, das Ge­dächt­nis lässt nach." Im bes­ten Fall macht er neu­gie­rig. Zum Glück, denn was die freie Thea­ter­gruppe "­Statt­ge­spräch" im Kul­tur­bahn­hof so in­ten­siv in­sze­niert und am ver­gan­ge­nen Sams­tag als Pre­miere auf­ge­führt hat, ist ganz wun­der­bar ge­wor­den.

Die Ge­schichte ist ü­ber­ra­schend nah am Le­ben. Ali­ce, ihr ge­schie­de­ner Mann Ed­gar und ihr der­zei­ti­ger Freund Kurt las­sen Er­in­ne­run­gen an Lie­be, Leid und Selbst­ver­wirk­li­chung Re­vue pas­sie­ren. Es sind Ge­schich­ten in der Ge­schich­te, die in Rück­blen­den im­mer wie­der neu auf­ge­rollt wer­den. Und ge­rade das war für die Schau­spie­ler eine große Her­aus­for­de­rung, denn we­der Büh­nen­bild, noch Kostüme än­dern sich während des Stückes. "Daran muss­ten wir eine Weile fei­len", erzählt Frank Wie­mann, der die Re­gie ganz be­wusst ein­mal in an­dere Hände ge­legt hat. "­Die­ses Schau­spiel lebt von Rück­blen­den. Es sind Er­in­ne­run­gen aus dem Le­ben der Prot­ago­nis­ten. Wir hat­ten erst Be­den­ken, dass das Pu­bli­kum die Rück­blen­den viel­leicht nicht so­fort ver­ste­hen wür­de." Hat es aber – und daran wa­ren die großar­ti­gen schau­spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten der Dar­stel­ler si­cher nicht ganz un­schul­dig. Sie ha­ben mit viel Fein­ge­fühl den Spa­gat zwi­schen all­täg­li­chem Drama und außer­ge­wöhn­li­chen Prot­ago­nis­ten ohne zu po­la­ri­sie­ren ge­meis­tert. Das Schau­spiel von Bengt Ahl­fors und Frej Lin­d­quist ist we­der Drama noch Komö­die. Ir­gendwo da­zwi­schen, so wie das Le­ben die Ge­schichte eben schreibt. Hu­mor­volle Au­gen­bli­cke gibt es ge­nug. Aber dann sind da auch diese an­de­ren Mo­men­te, in de­nen es im Pu­bli­kum ganz still wird. Wun­der­ba­res Thea­ter eben.

Ein we­nig Rea­lität, ein we­nig Ab­stand, eine Por­tion Voy­eu­ris­mus und eine At­mo­s­phäre, so dicht, dass sie die Zu­schauer schier un­auf­hör­lich in ih­ren Bann zu zie­hen ver­mag. Das wirkt auch ohne großes Büh­nen­bild und Re­qui­si­ten. Ein Wohn­zim­mer, eine Sup­pen­schüs­sel mit Bouil­la­bais­se, – und drei un­ter­schied­li­che Sicht­wei­sen auf die Lie­be. Un­ter der Re­gie von Ka­trin Bra­ke­meier lau­fen vor al­lem die drei Haupt­dar­stel­ler Clau­dia Sten­ten (A­li­ce), Frank Wie­mann (Ed­gar) und Mar­kus Mog­witz (Kurt) zur Höchst­form auf. Es ist ihr mit­un­ter sehr in­ten­si­ves Spiel, das mit­reißt. In dem, was sie tun und wen sie dar­stel­len, wir­ken sie un­glaub­lich au­then­tisch. Clau­dia Sten­ten ü­ber­zeugt als Frau, die den Traum von der großen Liebe ab­ge­legt hat und an­fängt zu ler­nen, sich von Kli­schees und Schub­la­den­den­ken zu tren­nen. Frank Wie­mann ver­kör­pert ih­ren "Ex" Ed­gar und ist da­bei bril­lant wan­del­bar: vom chau­vi­nis­ti­schen Ehe­mann, der die Liebe schnell auf die leichte Schul­ter nimmt, zum ge­bro­che­nen Mann, der die ein­zig wahre Liebe sei­nes Le­bens ver­lo­ren hat und schließ­lich Mar­kus Mog­witz, der es wun­der­bar ver­steht, sei­nem Al­ter Ego die per­fide Maske als Frau­en­ver­ste­her zu ent­reißen. In den Ne­ben­rol­len un­ter­stüt­zen Ben Ber­ger und Ka­trin Bra­ke­meier diese star­ken schau­spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten.

Was im Pu­bli­kum mit Ü­ber­le­gun­gen zum selt­sam an­mu­ten­den Ti­tel be­gon­nen hat­te, ent­puppte sich im Laufe des Abends als in­ten­si­ves, be­zau­bern­des Schau­spiel. Ein großar­ti­ger Pre­mie­ren­abend, der vom Pu­bli­kum mit viel Bei­fall ge­fei­ert wur­de.