Ein Schauspiel von Bengt Ahlfors und Frej Lindquist
Es spielen: Claudia Stenten, Katrin Brakemeier, Frank Wiemann, Markus Mogwitz und Ben Berger
Regie: Katrin Brakemeier
Deutschsprachige Erstaufführung war am 24.Oktober 2015 im Kulturbahnhof Lemgo.
Lemgo (von Barbara Luetgebrune). Eine Frau, zwei Männer, viele Flashbacks und literweise Bouillabaisse: Das sind die Zutaten für einen spannenden Theaterabend mit Tiefgang im Lemgoer Kulturbahnhof. Das Premierenpublikum feierte die deutsche Erstaufführung, die Stattgespräch auf die Bühne brachte.
„Die Suppe wird kalt, das Gedächtnis lässt nach“: Der Titel klingt wie eine Zeile aus einer skurril-lebensklugen Singer-Songwriter-Ballade. Eine Stimmung, die auch die Stattgespräch-Inszenierung des Stücks von Bengt Ahlfohrs und Frej Lindqvist durchzieht.
Das Stück ist raffiniert gebaut: Eine Frau und die beiden Männer ihres (bisherigen) Lebens erinnern sich daran, wie ihre Liebesgeschichten jeweils begannen – und wie sie zu Ende gingen. In Rückblenden spielen die Protagonisten Schlüsselszenen nach. Der jeweils nicht „aktuelle“ Mann moderiert und kommentiert die Szenen, mal ist er Schiedsrichter, mal Voyeur, mal vermittelt er, mal sät oder befeuert er den Zwist zwischen den handelnden Partnern.
Keine der zwei Liebesgeschichten, die sich mit den Jahren verändern, stellt an sich eine Besonderheit dar. Die Autoren beschreiben erblühende und bröckelnde Beziehungen, wie sie zigfach vorkommen. Die Geschichten sind ganz nahe am Leben. Und generieren eben daraus ihr heiteres Potenzial – Beispiel: die Diskrepanzen zwischen den persönlich eingefärbten Erinnerungen der Protagonisten.
Kennt jeder – und kann allein darum drüber lachen. So wirken diese Szenen deutlich stärker und stimmiger als die (paar) eingestreuten Gags mit Lacher-Garantie.
Auf den menschlichen Faktor, auf Authentizität und Nähe zum Leben setzt konsequent auch Katrin Brakemeier in ihrer Inszenierung. Zwar ist diese in einer Manege angesiedelt (Ausstattung: Markus Mogwitz, Frank Wiemann), aber darin präsentiert die Regisseurin keine Sensationen, sondern Menschen. Und achtet sorgfältig darauf, dass diese nicht zu Abziehbildern werden – eine Gefahr, die beim Featuren von „Menschen wie du und ich“ stets gegeben ist –, sondern Profil entfalten.
Menschen wie Alice, die sich zwischen den Ansprüchen ihrer Männer, ihrer Mutterrolle und den eigenen Träumen und Wünschen aufreibt. Bis sie beschließt, ihren eigenen Weg zu gehen. Claudia Stenten empfiehlt sich durch eine ernsthafte, temperamentvolle und durch und durch glaubwürdige Darstellung der Alice. Diese erste Hauptrolle, die sie damit auf der Stattgespräch-Bühne abliefert, macht Lust auf mehr. Frank Wiemann verkörpert höchst anschaulich den Wandel des Piloten Edgar von seiner anfänglichen „Hoppla, jetzt komm’ ich“-Attitüde zum verunsicherten, aus der (Flug-) Bahn geworfenen Ex-Mann.
Seinen Nachfolger Kurt legt Markus Mogwitz als nur scheinbar frauenverstehenden Konfliktforscher an, der – und das unterstreicht Mogwitz’ differenziertes Spiel hervorragend – bloß mit anderem Garn die gleiche Ego-Masche strickt wie Edgar. Ben Berger komplettiert eine starke Ensembleleistung, die das Premierenpublikum feierte – mit viel Beifall, zunächst.
Und hinterher nicht etwa bei Bouillabaisse, sondern bei Butterbroten für alle.
Lemgo (Natascha Retzlaff). Liebe ohne Komplikationen gibt es einfach nicht, denn daraus sind Geschichten gemacht. Eine davon betrachtet die Liebe dreier Menschen mit all den ungeahnten Folgen. Der Titel liest sich etwas holprig: "Die Suppe wird kalt, das Gedächtnis lässt nach." Im besten Fall macht er neugierig. Zum Glück, denn was die freie Theatergruppe "Stattgespräch" im Kulturbahnhof so intensiv inszeniert und am vergangenen Samstag als Premiere aufgeführt hat, ist ganz wunderbar geworden.
Die Geschichte ist überraschend nah am Leben. Alice, ihr geschiedener Mann Edgar und ihr derzeitiger Freund Kurt lassen Erinnerungen an Liebe, Leid und Selbstverwirklichung Revue passieren. Es sind Geschichten in der Geschichte, die in Rückblenden immer wieder neu aufgerollt werden. Und gerade das war für die Schauspieler eine große Herausforderung, denn weder Bühnenbild, noch Kostüme ändern sich während des Stückes. "Daran mussten wir eine Weile feilen", erzählt Frank Wiemann, der die Regie ganz bewusst einmal in andere Hände gelegt hat. "Dieses Schauspiel lebt von Rückblenden. Es sind Erinnerungen aus dem Leben der Protagonisten. Wir hatten erst Bedenken, dass das Publikum die Rückblenden vielleicht nicht sofort verstehen würde." Hat es aber – und daran waren die großartigen schauspielerischen Fähigkeiten der Darsteller sicher nicht ganz unschuldig. Sie haben mit viel Feingefühl den Spagat zwischen alltäglichem Drama und außergewöhnlichen Protagonisten ohne zu polarisieren gemeistert. Das Schauspiel von Bengt Ahlfors und Frej Lindquist ist weder Drama noch Komödie. Irgendwo dazwischen, so wie das Leben die Geschichte eben schreibt. Humorvolle Augenblicke gibt es genug. Aber dann sind da auch diese anderen Momente, in denen es im Publikum ganz still wird. Wunderbares Theater eben.
Ein wenig Realität, ein wenig Abstand, eine Portion Voyeurismus und eine Atmosphäre, so dicht, dass sie die Zuschauer schier unaufhörlich in ihren Bann zu ziehen vermag. Das wirkt auch ohne großes Bühnenbild und Requisiten. Ein Wohnzimmer, eine Suppenschüssel mit Bouillabaisse, – und drei unterschiedliche Sichtweisen auf die Liebe. Unter der Regie von Katrin Brakemeier laufen vor allem die drei Hauptdarsteller Claudia Stenten (Alice), Frank Wiemann (Edgar) und Markus Mogwitz (Kurt) zur Höchstform auf. Es ist ihr mitunter sehr intensives Spiel, das mitreißt. In dem, was sie tun und wen sie darstellen, wirken sie unglaublich authentisch. Claudia Stenten überzeugt als Frau, die den Traum von der großen Liebe abgelegt hat und anfängt zu lernen, sich von Klischees und Schubladendenken zu trennen. Frank Wiemann verkörpert ihren "Ex" Edgar und ist dabei brillant wandelbar: vom chauvinistischen Ehemann, der die Liebe schnell auf die leichte Schulter nimmt, zum gebrochenen Mann, der die einzig wahre Liebe seines Lebens verloren hat und schließlich Markus Mogwitz, der es wunderbar versteht, seinem Alter Ego die perfide Maske als Frauenversteher zu entreißen. In den Nebenrollen unterstützen Ben Berger und Katrin Brakemeier diese starken schauspielerischen Fähigkeiten.
Was im Publikum mit Überlegungen zum seltsam anmutenden Titel begonnen hatte, entpuppte sich im Laufe des Abends als intensives, bezauberndes Schauspiel. Ein großartiger Premierenabend, der vom Publikum mit viel Beifall gefeiert wurde.
www.stattgespraech.de